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„Mama, mir fehlt der Alltag.“

Gestern im Auto, auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause. Es ist still auf dem Rücksitz, im Radio läuft irgendeine Musik. Dann, ganz unvermittelt: „Mama?“ „Ja?“ „…mir fehlt der Alltag.“

So ein kleiner Satz. So viel Inhalt! Und wieder einmal wird mir in einer enormen Gefühls- und Gedankenwelle klar, was die momentane Zeit mit unseren Kindern macht! Das sonst so verhasste frühe Aufstehen, das zur Schule gehen, das weit entfernte Wochenende jeden Montag… jetzt fehlt das alles.

Corona und seine Folgen hat uns jetzt seit einem Jahr fest in seinem Griff. Den einen mehr, den anderen weniger. Auf die Probleme der Erwachsenen gehe ich hier nicht ein, die sind hinlänglich bekannt. Aber was ist eigentlich mit unseren Kindern?

Ein Jahr geht das nun schon. Wir sind im zweiten Lockdown, ein Ende ist momentan noch nicht abzusehen. Ich persönlich befinde mich in einer wirklich guten Situation, ich kann mein Kind zuhause beschulen, habe keine zusätzlichen finanziellen Sorgen, meine Lieben sind alle – noch – gesund.

Eigentlich alles gut, aber…

Dies wird der Hauptgrund dafür gewesen sein, dass meine Tochter und ich den ersten Lockdown größtenteils genießen konnten. Zeit füreinander haben, den entschleunigten Tagesablauf einfach auf sich zukommen lassen, viel reden, viel spielen, lesen, basteln, sich aufeinander einlassen. Das war schön!

Jetzt im zweiten Lockdown ist das eigentlich nicht anders. Es überwiegt immer noch das Gemütliche, wir haben eine gewisse Routine, das Homeschooling läuft immer besser, diesmal dürfen sich sogar Tochter und Oma sehen. Und trotzdem: „Mama, mir fehlt der Alltag.“

Wie geht es da eigentlich den Kindern, die alleine im Homeschooling sitzen? Die sich vielleicht so wie meine Tochter von ihren Mathe-Aufgaben wegträumen und die niemand wieder zurückholt, damit es keinen ganzen Tag dauert? Wie geht es denen, die sich alleine beschäftigen müssen, weil die Eltern im Job gebraucht werden? Oder die als einzige aus ihrer Klasse in die Notbetreuung gehen?

Erklärungsbedürftig!!!

Natürlich lässt sich das nicht überall vermeiden. Aber es ist wichtig, dass wir unsere Kinder dann emotional auffangen. Ihnen erklären, was vor sich geht! Sie hören momentan so oft, dass sie für uns eine Belastung sind, dass Homeschooling die Eltern überfordert, dass ihnen wichtige Förderungen fehlen, dass sie Defizite in ihrer sozialen Entwicklung in die Gesellschaft tragen werden, dass ihre Schulabschlüsse nichts mehr wert sein werden, und noch so vieles mehr! Alles berechtigte Einwände. Doch klingen sie aus Kindersicht nicht auch oft nach Vorwurf? Ich fürchte ja.  Zumindest dann, wenn sie nicht adäquat und altersgerecht erläutert werden!

Seit Monaten sind die Medien und unsere Alltagsgespräche davon voll. Natürlich spürbar für unsere Kinder. Aus Absperrbändern an Spielplätzen wurde eine Debatte darüber, ob Kinder sich für einen einzigen Freund entscheiden könnten. Regenbögen an Fensterscheiben wurden zu Diskussionen über Ferien-Beschulung oder das Ausfallenlassen von Prüfungen. Nebenbei verarbeiten unsere Kinder Berichte über vereinsamte Senioren, Todesfälle ohne Abschied und müssen den Besuch bei den Großeltern rechtfertigen.

Ich verstehe die Notwendigkeit des Lockdowns und die Maßnahmen. Wirklich! Doch für meinen Geschmack werden Kinder öffentlich immer noch zu wenig bzw. zu einseitig thematisiert. Ich vermisse konkrete Angebote in den Medien, Anlaufstellen, an die Kinder sich wenden können. Und ich vermisse kindgerechte Berichterstattung über die Lage, wie sie ist! Es gibt sie! Aber es ist so wenig! Am allermeisten vermisse ich Anerkennung für das, was unsere Kinder seit Monaten leisten!

Umso entscheidender wird damit die Grundhaltung, mit der wir unseren Kindern jetzt in der Betreuung zu Hause begegnen. Nicht mit einem „na toll, jetzt hocken wir noch länger aufeinander!“, sondern einem „okay, auch das schaffen wir!“. Denn was haben wir nicht schon alles geschafft! Machen wir uns das doch bitte immer wieder bewusst!

Genau aus diesem Grund ist meiner Meinung nach derzeit die allerwichtigste Aufgabe von uns Eltern:

Sorgen wir dafür, dass unsere Kinder sich geliebt fühlen!

Denn das ist unser Job! WIR haben uns entschieden, Kinder in diese Welt zu setzen. Unsere Kinder wurden nicht gefragt. Ja, wir konnten uns bisher auf unser System verlassen, das uns einen geregelten Alltag mit Schule und Kindergarten ermöglichte. Aber jetzt befinden wir uns in einer Ausnahmesituation, in der das System ruckelt. Das nervt. Das ist anstrengend. Das bringt viele von uns an unsere Grenzen. Aber WIR sind die Eltern. Die Verantwortlichen. Es ist UNSERE Aufgabe, unsere Kinder abzufangen, ihnen die Situation zu erklären und für sie da zu sein. Sie werden diejenigen sein, die die wirtschaftlichen und sozialen Folgen in ihrer Generation abzutragen haben. Und dafür müssen wir sie stark und selbstbewusst machen.

Also: Durchatmen. Weiter machen. Ruhig mal down sein, aber es danach erklären! Und bitte nie aufs Kind schieben! Nicht das Kind ist anstrengend, die Umstände sind es. Nicht das Eltern-sein bringt uns an die Grenzen, sondern all die anderen Mehr-Anforderungen. Der Job, der Geldmangel, die Sorgen, all das. Aber nicht unsere Kinder!

Sie sind doch das Wertvollste, was wir haben. Lassen wir sie das spüren!

Liebhaben

Link-Tipps:

Kinder stark machen: Startseite – Hilfreiche Tipps und Erklärvideos von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

Corona – Die Seite mit der Maus – WDR (wdrmaus.de) – kindgerechte Erklärungen zum Umgang mit Corona

Homeschooling während Corona-Pandemie: Bildungsangebote im NDR | NDR.de – Der NDR – Medien & Bildung – Angebote des NDR zum Thema Corona, Nachrichten und Lernen. Für alle Altersgruppen